2024 startet in der Schweiz die Produktion eines neuartigen Festkörperakkus – Jahre vor der Konkurrenz aus Ostasien. Der Erfinder Günther Hambitzer und seine beiden Mitstreiter haben Tagesspiegel Background erklärt, wie der technische Vorsprung entstanden ist und warum die Batterien nicht in China nachgebaut werden sollen.
Als Thomas Lützenrath Mitte September auf dem Car Battery Kongress in Braunschweig ankündigte, dass das Unternehmen Swiss Clean Battery (SCB) schon 2024 mit der Serienproduktion einer Feststoffbatterie starten wird (Background berichtete (https://background.tagesspiegel.de/mobilitaet/schweizer-liefernfestkoerperakkus-schon-2024)), klingelten am nächsten Tag die Telefone in der Schweiz öfter als üblich. Batteriehersteller von allen Kontinenten hätten Interesse gezeigt, erzählt Lützenrath. Sie alle wollten wissen, wie SCB etwas schaffen will, was Weltkonzerne wie Toyota, VW oder BMW erst für das Jahr 2030 in Aussicht stellen.
Lützenrath ist Chief Operating Officer des Unternehmens High Performance Battery (https://www.highperformancebatt ery.ch/de/) (HPB), das SCB eine Lizenz für die Produktion der Batterieverkauft hat. Zusammen mit dem CEO von HPB und Erfinder der Technologie, Günther Hambitzer, sowie Vertriebschef Sebastian Heinz erklärt Lützenrath Tagesspiegel Background, wie der neuartige Akku entstanden ist, was seine Vorzüge sind und wo er in Zukunft eingesetzt werden soll.
Gebaut werden die Batterien in Frauenfeld im Schweizer Kanton Thurgau. Die Anlage für überschaubare 50 Millionen Euro kommt – anders als etwa bei VW in Salzgitter – nicht aus China, sondern vom Berliner Maschinenbauer Jonas & Redmann. SCB beginnt mit einer jährlichen Kapazität von 1,2 Gigawattstunden (GWh), die schnell auf 7,6 GWh wachsen soll.
IBM will Speicher für seine Rechenzentren
Für jedes Anwendungsgebiet in einem Land vergibt HPB jeweils eine Lizenz, damit sich die Hersteller nicht in die Quere kommen. SCB, das einen Börsengang 2023 plant, baut Akkus, die in der Schweiz als Pufferspeicher für Industrieunternehmen dienen werden. Außerdem gibt es schon Verträge mit Stadtwerken in Deutschland, Österreich und der Schweiz, die mit den Batterien das Stromnetz stabilisieren oder Quartierslösungen schaffen wollen. Ebenso hat der Energieversorger Steag Interesse angemeldet, der ohnehin schon Speicher betreibt. IBM will den Akku in seinen Rechenzentren und für Energiemanagementsysteme einsetzen.
Obwohl HPB auch mit einigen Autoherstellern Vorverträge abgeschlossen hat, wird die Technik im Pkw noch ungefähr drei Jahre auf sich warten lassen – und dann zunächst im Premiumsegment verbaut werden. Gegenüber asiatischen Zellproduzenten sind die drei Manager zurückhaltend. Insbesondere mit chinesischen Batterieherstellern tun sie sich schwer. „Wir wollen den Zugriff auf die Technologie behalten“, sagt Lützenrath ganz offen.
Angst vor Technologieklau ist ein Motiv, ethische Grundsätze sind das andere, wie Verkaufschef Sebastian Heinz unterstreicht. In fast 100 Ländern hat HPB die Innovation von Günther Hambitzer zum Patent angemeldet. Heinz fügt hinzu: „Wir wollen bewusst Ländern Zugang zu unserer Technologie gewähren, die bisher nur als Rohstofflieferanten herhalten mussten, zum Beispiel afrikanische Länder oder Indien.“
Auch auf der Weltklimakonferenz COP27 in Ägypten sind Kollegen aufgetreten, um über die Technik zu informieren. „Wir haben ein Ökosystem von Partnern, die eine Produktion überall auf der Welt hochziehen können“, sagt Heinz. Viel wichtiger, als „den letzten Cent rauszuholen“, sei es, „geopolitische Abhängigkeiten wie bei Russland oder China“ zu verhindern.
„Entdeckung eher Zufall oder Glück“
Doch wie kommt es, dass ein Tüftler aus Deutschland schafft , was Weltkonzernen wie Tesla, Panasonic, LG, Samsung oder CATL bisher nicht gelingt? Günther Hambitzer ist immer der freundliche, bescheidene Wissenschaftler geblieben. „Ich arbeite seit mehr als 30 Jahren an anorganischen Elektrolyten“, erklärt er. „Die Entdeckung des Festkörperakkus war eher Zufall oder Glück.“
Seit 1989 forschte er am Fraunhofer Institut für Chemische Technologie in Pfinztal bei Karlsruhe, seit 2001 ist er außerordentlicher Professor für physikalische Chemie an der Universität Witten/Herdecke. Von 1998 bis 2002 betrieb Hambitzer gemeinsam mit dem Energieversorger EnBW das Batterieunternehmen Fortu BAT, aus dem die Schwaben aber ausstiegen, weil sie sich auf ihr „Kerngeschäft “ konzentrieren wollten.
Auf der Suche nach Investoren machte Hambitzer auch sehr schlechte Erfahrungen mit einem Norweger aus der Venture-Capital-Branche, der das Unternehmen bewusst in die Insolvenz trieb, um sich dann günstig aus der Konkursmasse zu bedienen. Hambitzer zog vor Gericht und gewann – den hohen Schadensersatz
konnte er allerdings nie eintreiben.
Viel mehr Glück hat er mit Lützenrath und Heinz, die er am damaligen gemeinsamen Wohnort Bonn kennenlernte. Die beiden Manager brachten unter anderem ihre Erfahrung von der Deutschen Telekom mit.
Gemeinsam vermarkten sie nun weltweit eine Innovation, die so entstand: Als Hambitzer wie üblich im Labor stand, war es gar nicht sein Ziel, einen Feststoffakku zu bauen. Vielmehr wollte er das Problem der Batteriealterung lösen. Seinen „Heureka-Moment
(https://de.wikipedia.org/wiki/Heureka#:~:text=Heureka%20ist%20altgriechisch%20(%CE%B5%E1%BD%95%CF%
wie er mit feiner Selbstironie erzählt, hatte er 2017. Er füllte seinen Elektrolyten in flüssiger Form in das Gehäuse der Batteriezelle. Erst dort wurde er durch eine chemische Reaktion fest – wie bei einem Mehrkomponentenkleber.
Extrem lange Lebensdauer
So vermeidet Hambitzer die Probleme, mit denen die Konkurrenz kämpft: Bisher setzen die Entwickler von Festkörperakkus auf Elektrolyte aus dünner, spröder Keramik. Die aber brechen leicht bei der schnellen Produktion. Außerdem müssen die Keramiken mit einem Sinterverfahren hergestellt werden, was wegen der hohen Temperaturen viel Energie kostet.
Auch gegenüber den heutigen Lithium-Ionen-Zellen hat Hambitzers Zelle deutliche Vorteile: Statt des organischen Elektrolyten hat sie einen anorganischen. Der hat den Vorteil, dass er nicht entflammbar ist. Weil er die vielfältigen Nebenreaktionen, wie sie aus organischen Umgebungen bekannt sind, nicht aufweist, ist die Lebensdauer ungleich länger. Diese Nebenreaktionen verbrauchen Kapazität und lassen den Innenwiderstand der Zelle steigen, was die Leistung mindert. Nach 3000 bis höchstens 5000 Ladevorgängen ist das Lebensende der Batterien mit organischem Elektrolyten erreicht.
Hambitzers Zellen dagegen soll bis zu 100.000 Zyklen schaffen. Außerdem leiden sie weit weniger unter dem Schnellladen als die heutigen Zellen. Die Messergebnisse werden jetzt vom Zentrum für Brennstoffzellen-Technik in Duisburg und dem KIT in der Südpfalz unabhängig überprüft.
Die reinen Produktionskosten sollen bei vergleichbarer Skalierung der Produktion auf dem Niveau von Lithium-Ionen-Zellen liegen. Durch die viel längere Lebensdauer wären die Gesamtkosten für die Kunden aber deutlich niedriger.
Auch nicht ganz unwichtig: Hambitzers Elektrolyt besteht aus Lithium, Aluminium, Chlor, Schwefel und Sauerstoff . Für die Batteriezelle werden weder seltene Erden noch Kobalt oder Gold gebraucht. Schon in der Produktion ist die Ökobilanz um die Hälfte besser als bei Lithium-Ionen-Zellen, haben die Life Cycle Engineering Experts (https://www.lcee.de/) (LCEE) errechnet. Das wird gerne gehört – egal ob in der Schweiz, in Afrika oder Indien.